Machbarkeitsstudie zur Untersuchung des Zustands und der Veränderung der genetischen Vielfalt: Vernetzung, Inzucht und Anpassungsfähigkeit
Abstract
Die Strategie Biodiversität Schweiz (BAFU 2012) misst der Erhaltung der genetischen Vielfalt eine grosse Rolle bei und erwähnt sie in drei ihrer zehn strategischen Ziele für das Jahr 2020 (Ziele 1, 4, 10). Vom Erreichen diese Ziele sind wir heute weit entfernt. In der Schweiz verfügen wir zurzeit weder über ein Konzept, wie genetische Vielfalt bzw. genetische Diversität erfasst werden kann, noch haben wir Indikatoren, an Hand derer wir in Zukunft Veränderungen der genetischen Vielfalt feststellen können.
Die genetische Vielfalt ist eine der vier Ebenen der Biodiversität, also der Vielfalt des Lebens, welche aus der Vielfalt der Gene, Arten, Ökosysteme und deren Wechselbeziehungen besteht. Genetische Vielfalt ist das Rohmaterial für die Evolution, das für die Weiterentwicklung und Anpassung von Arten und Populationen notwendig ist. Somit ist sie eine Voraussetzung dafür, dass sich Organismen an ihre belebte und unbelebte Umwelt anpassen können. Genetische Vielfalt beeinflusst auch die Ökosystem-Stabilität.
In dieser Machbarkeitsstudie zur Untersuchung des Zustands und der Veränderung der genetischen Vielfalt schlagen wir vor, dass für 50 Arten aus den drei grossen Reichen – Tiere, Pflanzen und Pilze – und rund 17'000 Individuen die genetische Vielfalt schweizweit in allen sechs biogeographischen Regionen untersucht wird. Die zu untersuchenden Arten müssen einer Vielfalt von Kriterien genügen, z.B. seltene und häufige Arten, sowie Arten welche durch anthropogene Faktoren, wie z.B. Klimawandel oder Habitat-Fragmentierung betroffen sind. Gleichzeitig sollten sie Synergien mit anderen Biodiversitäts-Monitorings ermöglichen. Der technische Fortschritt im Bereich der DNA-Sequenzierung erlaubt es heute das Erbgut (Genom) von hunderten von Individuen zu sequenzieren und sehr präzise Informationen zur genetischen Vielfalt von Individuen, Population und Arten zu erheben.
Da sich die genetische Vielfalt meistens nicht kurzfristig verändert und mit dem hier vorgeschlagen Monitoring erst eine Basis für die Erfassung zukünftiger Veränderungen erarbeitet wird, empfehlen wir zusätzlich ein retrospektives Monitoring der genetischen Vielfalt durchzuführen. Dieses erlaubt es Informationen über den Zustand und die Veränderung der genetischen Vielfalt über die Zeit zu erhalten. Dank zahlreichen und gut dokumentierten Museum- und Herbarium-Proben ist es möglich, Informationen zur genetischen Vielfalt vor mehr als 100 Jahren in der Schweiz zu erhalten. Da es sich bei einem Monitoring der genetischen Vielfalt um ein sehr grosses und komplexes Projekt handelt, empfehlen wir, vorgängig eine 3-jährige Pilotstudie durchführen um Erfahrungen zu sammeln. Dabei würden für fünf Arten heutige Populationen schweizweit genetisch untersucht und zwei Arten auch in einer retrospektiven Analyse behandelt.
Die Kostenberechnungen beinhalten drei mögliche Varianten und eine 3-jährige Pilotstudie. Variante 1: Ein vollständiges Monitoring der genetischen Vielfalt mit Stichprobennahme, genetischen und retrospektiven Analysen würde Kosten im Bereich von 9.7 Mio CHF pro 5-Jahres Zyklus generieren. Variante 2: Ein Monitoring der genetischen Vielfalt mit Stichprobennahme und genetischen Analysen ohne retrospektives Monitoring würde ungefähr 8.5 Mio CHF pro 5-Jahreszyklus kosten. Variante 3: Ein Monitoring der genetischen Vielfalt, welches im Moment nur die Stichprobennahme umfasst und die Sequenzierarbeiten erst zu einem späteren Zeitpunkt ausführen würde (z.B. nach einer zweiten Stichprobennahme nach 5 Jahren) würde Kosten im Bereich
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von 3.9 Mio CHF verursachen. Eine 3-jährige Pilotstudie für fünf Arten (davon zwei Arten auch retrospektiv), würde 1.2 Mio CHF kosten.
Der Einbezug von Stakeholdern vereinfacht eine transparente und effiziente Kommunikation und steigert die Akzeptanz von Prozessen. Deshalb wurde im Rahmen der Machbarkeitsstudie eine Stakeholderanalyse durchgeführt. Die Analyse erhob die Meinungen und Bedürfnisse von Schweizer Stakeholdern aus Verwaltung, Wirtschaft, NGOs, Museen und Wissenschaft, welche potenziell von einem Monitoring der genetischen Vielfalt profitieren würden. Zudem wurde untersucht, welche Stakeholder für die Entwicklung eines genetischen Monitorings besonders wichtig wären und welche Stakeholder zu diesem Thema bereits miteinander in Kontakt stehen. Experteninterviews und Online-Fragebögen zeigten, dass die befragten Stakeholder ein grosses Interesse an einem genetischen Monitoring haben. Sie sind sich der zurzeit fehlenden Grundlagen im Bereich genetische Vielfalt bewusst und sehen, dass ein Monitoring der genetischen Vielfalt für ihre Arbeitsbereiche gewinnbringend wäre. Dabei wurde besonders häufig die Überprüfung von Vernetzungsmassnahmen genannt. Stakeholder äusserten auch Bedenken gegenüber einem genetischen Monitoring. Dabei wurden die geringen zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Kantone wie auch die Befürchtung, dass die erhobenen Daten in der Praxis zu wenig genutzt würden, genannt. Eine offene Kommunikation der Möglichkeiten und Grenzen eines genetischen Monitorings und ein enger Einbezug der Stakeholder sind somit für eine erfolgreiche Implementierung eines genetischen Monitorings in der Schweiz entscheidend.
Aufgrund der vorliegenden Machbarkeitsstudie empfehlen wir zuerst eine Pilotstudie zur Untersuchung der genetischen Vielfalt in der Schweiz durchzuführen, um Erfahrungen zu sammeln und Wissenslücken zu schliessen. Die Pilotstudie kann später von einem umfangreichen genetischen Monitoring abgelöst werden bzw. in ein solches einbezogen werden. Show more
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https://doi.org/10.3929/ethz-b-000453093Publication status
publishedPublisher
ETH Zürich, Departement UmweltsystemwissenschaftenEdition / version
Version StakeholderSubject
Monitoring der genetischen DiversitätOrganisational unit
03706 - Widmer, Alexander / Widmer, Alexander
08693 - Gruppe Natural Resource Policy / Natural Resource Policy
Notes
Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt.More
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